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WEISSER RING

STIGAMITISIERUNG VERÜBT DEN GRÖSSTEN DRUCK

Interview mit Ex-Kriminalbeamten Rolf Wagemann

Die Hilfsorganisation „Weißer Ring“ definiert häusliche Gewalt als einen Delikt, in dem das Opfer physischen oder psychischen Schaden erlitten hat. Dabei ereignen sich die meisten Fälle in Familien mit Migrationshintergrund und gegen Frauen.

 

Er kooperiert stark mit der Polizei zusammen, sodass diese Organisation als erste freiwillige Anlaufstelle für das Opfer dient.

 

Das Opfer hat die Möglichkeit Unterstützung, in vor allem materieller Form vom Weißen Ring zu erhalten. Die Unterstützung enthält sowohl Geldzuschüsse, als auch Hilfe beim Stellen von Anträgen zum Beispiel bei staatlichen Behörden. Außerdem vermitteln sie die Opfer an Traumautologen oder Therapeuten.

Komplettes Interview

Sprich Dich Aus: Wie Definieren Sie häusliche Gewalt?

 

Herr Wagemann: Jeder Fall in dem das Opfer einen psychischen oder physischen Schaden erlitten hat. Nicht jede Beleidigung ist häusliche Gewalt, so weit geht das natürlich nicht. In den meisten Fällen sind es Körperverletzungsdelikte. Hinzu kommt manchmal Einsperren oder Zertrümmerung der Wohnungseinrichtung.

 

Sprich Dich Aus: Und was hat das dann für Ursachen?

 

Herr Wagemann: Die Ursachen sind mannigfaltig. Manchmal ist es Drogensucht, Geldmangel oder es geht um das Sorgerecht um die Kinder (bei getrennten Paaren).

 

Sprich Dich Aus: Wobei unterscheidet sich Ihre Arbeit von der der Polizei?

 

Herr Wagemann: Die Polizei berät die Opfer von Straftaten und übernimmt eine Lotsenfunktion, das heißt sie weißt auf Hilfsorganisationen hin (sie ist auch dazu verpflichtet auf diese hinzuweisen). Wir haben mit der Polizei einen Kooperationsvertrag, was bedeutet dass sie immer auf uns hinweist. Der weisse Ring gibt dem Opfer eine materielle Unterstützung in Form von Geld, wenn es diese denn benötigt. Das Geld wird dann zum Beispiel für die Anwaltskosten ausgegeben, für die Prozesskosten oder für Sitzungen beim Psychiater die die Krankenkasse nicht übernimmt, was bedeutet dass wir auch die Folgekosten übernehmen wenn sich kein anderer Kostenträger findet. Auch das Additonsverfahren wird von uns gedeckt, also das Anfangsverfahren des Strafverfahren.

 

Die Polizei informiert uns also nach diesem Kooperationsvertrag regelmäßig über die Gewalttaten in Form eines Faxes. Daraus gehen dann die Personalien des Opfers und die Opfergeschichte hervor. Wenn ich mich dann mit dem Opfer in Verbindung setze und es immer noch die Hilfe des weissen Ringes in Anspruch nehmen will, setzen unsere Hilfsmaßnahmen ein. Dabei kann das auch immaterielle Hilfe sein, also Beratung und Zuspruch oder die Begleitung zu Gerichtsterminen, aber in erster Linie ist es wohl die materielle Hilfe. Dabei gehen wir so vor dass wir einen sogenannten Erstberatungscheck an das Opfer senden, womit die Anwaltskosten bezahlt werden können, und sehen dann zu dass das Opfer eine rechtliche Verfügung erlangen kann, also dass sich der Täter dem Opfer nicht mehr nähern darf. Wir vermitteln bei psychischem Schaden auch an Therapeuten.

 

Sprich Dich Aus: Kann man sich denn auch bei Ihnen melden wenn das Opfer „nur“ psychischen Schaden erlitten hat?

 

Herr Wagemann: Ja, das Opfer sollte sich auf jeden Fall bei uns melden und beraten in jedem Fall das Opfer was nun erforderlich ist. Geld auf einen Schadensersatz kann das Opfer aber nur einklagen wenn durch eine physische Straftat ein psychischer Schaden entstanden ist. Also die physische Straftat ist Vorraussetzung.

 

Sprich Dich Aus: Helfen Sie dabei auch Männern? Denn es gibt ja sehr wenige Schutzeinrichtungen für Männer, wie helfen Sie ihnen dann?

 

Herr Wagemann: Selbstverständlich. Auch der Mann kann Opfer einer Gewalttat sein. Wenn der Mann die Wohnung verlassen muss, weil er sich nicht mehr sicher fühlt, dann sehen wir zu das er da hinaus kommt. Wenn wir ihn nicht sofort in einem Männerhaus unterbringen können muss auch manchmal das Hotel für eine Nacht her halten, wobei die Kosten, wenn das Opfer sie nicht tragen kann, wie schon gesagt von uns gedeckt werden. Es wird dann versucht den Mann so bald wie möglich in einem Männerhaus unterzubringen.

 

Sprich Dich Aus: Gibt es besondere Probleme der häuslichen Gewalt in den neuen Lebensformen?

 

Herr Wagemann: Nein, da habe ich keine Erkenntnisse drüber.

 

Sprich Dich Aus: Wurden Sie denn schon einmal von einem Opfer aus einer neuen Lebensform um Hilfe gebeten?

 

Herr Wagemann: Nein ich habe noch nie von einer neuen Lebensform eine Hilfsanfrage bekommen, ich will aber nicht ausschliessen dass es da keine Gewalt gibt. Es kommen ja auch nicht alle Opfer zum weissen Ring. Viele verdrängen es und wollen nicht darüber sprechen.

 

Sprich Dich Aus: Können Sie uns vielleicht ein paar Zahlen aus dem letzten Jahr nennen, wie viele Opfer häuslicher Gewalt von dem weissen Ring betreut werden?

 

Herr Wagemann:Ja das kann ich. Von 180 Opferfällen, die wir im letzten Jahr in Dortmund behandelt haben, wobei unter Opferfällen nicht nur von häuslicher Gewalt gesprochen wird, sondern auch von Mobbing bis hin zu Mord, hatten wir 17 Fälle der häuslichen Gewalt: 5 Deutsche, 1 Polin, 8 Türkinnen und 3 Deutsche mit Migrationshintergrund.

 

Sprich Dich Aus: Hat sich das denn in den letzen 20-30 Jahren vermehrt?

 

Herr Wagemann: Ja, weil die Opfer besser informiert sind und sich die Frauen so heute öfter trauen um Hilfe zu bitten. Das liegt daran dass es das heute das Gewaltschutzgesetz gibt. So merken die Frauen dass häusliche Gewalt wirklich verfolgt und bestraft wird.

 

 

Sprich Dich Aus: Wie reagieren denn die Kinder wenn die Eltern zu Ihnen kommen?

 

Herr Wagemann: Also teilweise sind die Kinder dann schon psychisch verstört. Ich habe einige Fälle gehabt in denen ich neben einer psychotherapeutischen Behandlung des Opfers auch geraten habe das Kind zum Kinderschutzzentrum zu bringen. Oder aber, wenn das Kind einen vermeintlich größeren Schaden erlitten hat, verweise ich auf die Traumaambulanz für Kinder und Jugendliche.

 

 

Sprich Dich Aus: Würden Sie denn sagen das häusliche Gewalt in zum Beispiel Migrantenfamilien häufiger vorkommt?

 

Herr Wagemann: Ja, in solchen Schichten dominiert häusliche Gewalt. Aufgrund der Kultur in der Heimat ist es für solche Familien eine Selbstverständlichkeit wenn die Frau geschlagen wird. Für solche Männer ist es normal wenn die Frau geschlagen oder weggesperrt wird. Da haben die ein ganz anderes Denken und eine ganz andere Kultur als wir Europäer. Das hat etwas mit der Erziehung zu tun.

 

Sprich Dich Aus: Sie haben ja erläutert wie sie die Opfer materiell unterstützen. Wie können Sie sich denn finanzieren?

 

Herr Wagemann: Hauptsächlich durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Manchmal sind auch Erbschaften dabei aber das ist nicht der Regelfall. Vom Staat werden wir überhaupt nicht unterstützt.

 

 

 

Sprich Dich Aus 2015, Dortmund

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